Ist der Weltspartag noch zeitgemäß?
September 16, 2015Kurzbeinige Statistiken … und langatmige Zahlen (II)
September 21, 2015Mathematik? Bäh!!… Finanzmathematik?… Doppelbäh!! Keine Sorge. Darum geht in der Finanzschule diesmal gar nicht. Es geht um amüsante wie auch ärgerliche Erkenntnisse rund um Zahlen. Und um vermeintliche Sicherheiten oder Wahrscheinlichkeiten. Dann geht es um viel Lug und Trug wie in Statistiken und Grafiken versteckt ist und wie er uns täglich manipuliert. Der erste Teil beginnt mit Zufällen und Wahrscheinlichkeiten.
Teil I / Wahrscheinlich geht alles gut
Wie wahrscheinlich ist es, dass ich beim Schreiben dieser Finanzschulserie im November 2011 schon vorherssagen kann, was Sie gleich selbst mit zwei Zahlen, die Sie frei wählen und die ich nicht kennen kann, im Januar 2012 errechnen werden? Es ist extrem unwahrscheinlich, aber probieren wir es dennoch einmal. Einverstanden? Gut – dann denken Sie sich eine beliebige dreistellige Zahl. Einzige Vorgabe: Zwischen der ersten und der letzten Ziffer müssen mindestens zwei Stellen Abstand sein, z. B. 782 oder 159. Bilden Sie jetzt den Kehrwert. Aus 159 würde dann 951. Ziehen Sie die kleinere von der größeren Zahl ab. In meinem Beispiel käme die 792 als Ergebnis heraus. Bilden Sie nun wieder den Kehrwert von diesem Ergebnis, also 297, und addieren Sie beiden Werte (792+297). Egal welche dreistellige Zahl Sie nach obiger Vorgabe gewählt haben: 1.089 wird immer Ihr Ergebnis sein. So leicht lassen wir uns in die Irre führen, denn Sie und ich hätten gedacht: Das Ergebnis muss abhängig von der gewählten dreistelligen Zahl immer anders sein. Bekannt ist dieser Rechentrick seit mindestens 1956 (1). Für die Praxis im Umgang mit Zahlen – insbesondere für die Welt der Finanzenzahlen – ergibt sich schon eine erste Erkenntnis: Es ist zwar unwahrscheinlich, dass bei unterschiedlichem Einsatz die gleichen oder gar selben Ergebnisse herauskommen, aber es ist möglich. Und was noch viel wichtiger ist: Umgekehrt gilt das genauso.
Und: Manipulation könnte überall verborgen sein – gerade dort wo man sie am wenigsten vermutet, ist sie am häufigsten.
Wahrscheinlichkeit
Bleiben wir noch einen Moment bei Wahrscheinlichkeiten: 1998 saß bei mir ein Vertreter für Investmentprodukte am Tisch. Ich war völliger Finanzidiot und der gut durchstrukturierte Mensch, der da unfallfrei seinen Kaffee bei mir trank, war gut vorbereitet und hatte leichtes Spiel: Bei einer Unternehmensbeteiligung, die über eine Lebensversicherung und einen Treudhandfonds x-mal abgesichert sei, die von der BaFIn geprüft und per Wirtschaftsgutachten auf Plausibilität für gut befunden worden sei, könne ich zweistellige Renditen mit meinen 10.000 Euro Einmalanlage sicher erwirtschaften. „Wissen Sie, wenn die sich die alle geirrt hätten bei der Beurteilung dieser Geldanlage und alle breit gestreuten Investments dieser Beteiligung Pleite gehen würden, wäre die Welt in so einem Zustand, dass wir ohnehin nicht mehr in ihr leben wollten“, erklärte mit mit einem Stimmanschlag, der zwischen den Zeilen noch einen geradezu beleidigten Unterton anschlug im Sinn von: So viele Sicherheiten für meine lumpigen 10.000 Euro und so wenig Wahrscheinlichkeiten, dass sie verlustig werden könnten. Mein Bauchgefühl sagte dennoch Nein und das Investment wurde fünf Jahre später eine von vielen Fällen für die Staatsanwaltschaft. Mag sein: Vielleicht war die Wahrscheinlichkeit hier Verlust zu erleiden wirklich gering und hat Meister Zufall zugeschlagen.
Doch unser Umgang mit Wahrscheinlichkeiten ist hanebüchend. „Die Wahrscheinlichkeit, dass einer bestimmten Person ein bestimmtes Ereignis zustößt, kann so klein sein, wie sie will – trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis irgendeiner Person zustößt, oft sehr groß.“(2) Wahrscheinlichkeiten schätzen wir deswegen fast immer falsch ein, anstatt uns darüber bewusst zu sein: Ein bestehendes Risiko gibt es immer, es kann uns treffen, aber es muss uns nicht treffen.
Die drei Tore
Bleiben wir noch einen Moment bei den Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlich kennen Sie noch die Quizsendungen aus der Anfangszeit des Kabelfernsehens. Ich meine diejenigen Sendungen, in denen per Dauerwerbung Autos, Motorräder, Reisen und Geld verschenkt wurden, man musste nur den richtigen Umschlag oder das richtige Tor auswählen. Millionen Zuschauer ging es wie mir. Sie saßen gebannt davor und berechneten im Kopf mit, wie sich die Chancen für den Kandidaten veränderten. Der Moderator bot Tor 1 an, doch Tor 1 nahm der Kanditat nicht – Glück gehabt, da war die Ziege drin. Also hat der Kandidat nun mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% ein Auto gewonnen, wenn er Tor 2 oder 3 wählt. Doch wie ist das eigentlich: Der Moderator bietet Tor 1 an und wie wahrscheinlich ist die Chance auf das Auto? Welche Wahrscheinlichkeit gilt, wenn der Tor 1 nicht gewählt wird? Das Verblüffende ist: Wenn ein Kandidat nicht Tor 1 nimmt, sondern auf die beiden anderen Tore wechselt, verdoppelt sich seine Chance. Als die seinerzeit als intelligenteste Frau im Guinessbuch der Rekorde eingetragene Marilyn vos Savant diese Erkenntnis in der amerikanischen Presse veröffentlichte, wurde sie von Tausenden Leserbriefschreibern angegriffen. Es sei schließlich offensichtlich, dass immer eine Fifty-Fifty-Chance bestehen würde, schrieben selbst Mathematikprofessoren. Doch Frau vos Savant hatte Recht. Für uns ergibt sich somit eine weitere Erkenntnis: „Das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten ist eben ein nicht ganz einfaches Geschäft.
Und das Allerdümmste ist: Sicherheiten versprechen Wahrscheinlichkeiten nie.“(3)
Die Würfel sind gefallen
Sie wissen nun: Wahrscheinlichkeitsberechnungen haben es richtig in sich. Sie als ein Kriterium für Anlageentscheidungen zu verwenden, führt uns fast immer in die Irre. Und selbst wenn die Berechnung richtig wäre, bleibt es Fakt: Dass mich der Blitz treffen wird, ist unwahrscheinlich, dass der Blitz aber irgendjemanden mal trifft, liest man immer hier und dort. Wahrscheinlichkeit liefert keine Sicherheit. Sie ist als Entscheidungsmerkmal in praktisch allen Lebenslagen ungeeignet. Wenn Sie noch nicht überzeugt sind, holen sie sich einen Würfel. Einen ganz normalen Würfel mit sechs Seiten und den Ziffern 1-6 darauf. Schauen Sie sich den Würfel an: Wenn alle Zahlen gleich darauf vertreten sind, so sind die Chancen eine 9 oder eine 10 direkt bei zwei Würfen
nacheinander zu würfeln gleich groß, oder? Und die Chance müsste doch bei drei Würfen hintereinander wieder die Gleiche sein, oder? Bei zwei Würfen sind die Kombinationen (6,4), (4,6) oder (5,5) für eine zehn möglich. Für eine neun gibt es eine Kombinaton mehr: (3,6), (6,3), (4,5) und (5,4). Damit nicht genug: Bei drei Würfen hintereinander kehrt sich die Wahrscheinlichkeit um. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten mehr. Die neun kann mit 25 Kombinationen, die zehn mit 27 Kombinationen erwürfelt werden. (2)
Logisch ist, dass nicht alles logisch ist
Kennen Sie Logikrätsel? Manche lieben sie – andere hassen sie. Ich meine diese Rätsel nach dem Motto: Peter ist größer als Hans, der 7 Jahre alt ist und nicht einem Ort wohnt, der mit K beginnt. Uwe wohnt in Karlsruhe, heißt nicht Peter usw. usf… Für diese Rätsel gibt es immer eine Lösung – alles erscheint logisch. Wenn Peter größes als Hans ist und Hans ist größer als Uwe, dann ist Peter logischerweise größer als Uwe. Wirklich? Gilt das immer? Sie und ich kennen mindestens eine Ausnahme aus unserer Kindheit – ein Kinderspiel, welche sich dieser Logik entzieht: „Schere, Stein, Papier“. Stein schlägt Schere, Schere schlägt Papier, Papier schlägt Stein. So kinderleicht kann man uns täuschen und wir werden noch sehen: Dieses Prinzip wird bei der Werbung für Kapitalanlagen und Versicherungen durchaus angewandt. Übrigens: Man nennt diese Beziehungen intransitive Relationen. (2)
Menschenskinder
Ein letztes – wie ich finde – sehr beeindruckendes Beispiel für eine Wahrscheinlichkeit. Und dieses Beispiel – versprochen! – können Sie mit Sicherheit auch außerhalb der Welt der Finanzen immer gut verwenden.
Angenommen Sie treffen einen alten Bekannten, der Sie über beide Ohren anstrahlt, nach Jahren wieder. Warum er so freudig dreinblickt wird rasch klar: Er ist Vater geworden: Zwei Kinder sind
ihm geschenkt worden. Nun interessiert sie, ob es sich um Jungen, Mädchen oder ein gemischtes Geschwisterpaar handelt. Wie groß ihre Chancen sind die Geschlechter zu erraten, hängt jetzt entscheidend von der ersten Frage ab, die sie stellen. „Ist darunter ein Mädchen?“, könnten Sie fragen. Oder auch: „Ist das erste (!) Kind ein Mädchen?“. Auf 100 Mädchen kommen im langjährigen Durchschnitt 106 Jungen zur Welt. Für unser Beispiel lassen wir das mal außer Betracht, tun so, als seien die Geburten gleich verteilt. Zwischen den beiden Fragemöglichkeiten liegen unterschiedliche Chancen. Auf den ersten Blick meint man: Wenn man weiß, dass irgendeines der Kinder ein Mädchen ist, so sind die Chancen, dass das zwei-te Kind ein Mädchen oder ein Junge
sind 50%. Doch auch das ist wieder ein Trugschluss.
Diese 50%-Chance gilt nur dann, wenn wir wissen, ob ein ganz bestimmtes Kind ein Mädchen ist. Die Angabe, dass mindestens eines der Kinder ein Mädchen ist, hilft uns nicht weiter. Ich weiß: Das klingt wieder paradox, aber sehen Sie selbst: Bei 2 Kindern gibt es die Kombinationsmöglichkeiten (Junge, Junge), (Junge, Mädchen), (Mädchen, Junge), (Mädchen, Mädchen). Wenn wir nur wissen, dass der Bekannte zwei Kinder hat, ist die Wahrscheinlichkeit für zwei Mädchen bei einem Viertel. Anders ist dies, wenn das erste Kind ein Mädchen ist. Dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten und die Chance für zwei Mädchen steigt auf 50%. Ganz schön verzwickt, aber auch spannend, oder? (2)
Fazit unseres Teil I
Mit unserem Glauben an berechenbare, nicht berechenbare Zufälle, an Wahrscheinlichkeiten und Sicherheiten liegen wir häufig falsch. Das ist nicht schlimm, aber jeder Kapitalanleger, jeder Versicherungskunde und jeder Mitbürger überhaupt, sollte sich darüber im Klaren sein, welcher Manipulationsgefahr wir hier gegenüber stehen. Und derjenige, der uns manipuliert, ist ausgerechnet derjenige, dem wir oft am meisten vertrauen: Es sind wir selbst und unsere Erfahrungswerte. In Teil II dieser Reihe rund um Lug und Trug mit Zahlen und Grafiken wird noch mehr begreifbar, wie leicht wir uns selbst täuschen und uns täuschen lassen. Und es wird klar: Diejenigen, die uns täuschen, machen das gar nicht immer mit Absicht.
Hinweis:
Dieser Artikel erschien bereits im 1. Quartal 2012, hat aber an Aktualität nichts verloren, im Gegenteil!
Infos zum Autor:
Andreas Müller-Alwart
Foto: Bilddatenbank Fotolia
Quellen:
(1) David Acheson: „1089 oder Das Wunder der Zahlen“
(2) Walter Krämer: „Denkste!“
(3) Rudolf Taschner: „Zahl, Zeit, Zufall“
(4) Bosbach/Korff: „Lügen mit Zahlen“
2 Comments
[…] Im ersten Teil betrachteten wir einige Schwindeleien rund um Wahrscheinlichkeiten und Logik. Denkfehler, in die wir alle hineintappen, und die dann zu falschen Entscheidungen führen können. Im zweiten Teil blicken wir hinter die Kulissen von absoluten und relativen Zahlen, schauen auf den Unterschied von Prozenten zu Prozentpunkten. Es bleibt spannend… […]
[…] Teil I haben wir den Aberglauben an Wahrscheinlichkeiten auseinandergenommen, in Teil II sind wir dem […]